Mittwoch, 28. Juli 2010

Kosovo - was nun? Das Gutachten des IGH zur Unabhängigkeitserklärung (Fortsetzung)

II. Anmerkungen

Auffällig an den Erwägungen des Internationalen Gerichtshofes ist, dass die von der UN-Generalversammlung vorgelegte Frage thematisch eingeengt wurde.
Die Frage lautete bekanntlich, ob die Unabhängigkeitserklärung mit dem Völkerrecht vereinbar ist bzw. in der französischen Fassung "...est-elle conforme au droit international?"
Offenbar stützt das Gericht seine Entscheidung aber darauf, dass die Resolution 1244 (1999) kein ausdrückliches Verbot einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung enthalte.
Das ist aber doch nur ein einzelner und nicht der einzige Aspekt im Hinblick auf die Völkerrechtskonformität oder -widrigkeit.
Zwar hat der IGH auch das allgemeine Völkerrecht in Erwägung gezogen, wobei er erklärt, dass das Sezessionen entgegenstehende Prinzip der territorialen Integrität nur in zwischenstaatlichen Beziehungen gelte, die hinsichtlich der kosovorischen Urheber der Unabhängigkeitserklärung nicht gegeben seien.
Aber das ist meiner Ansicht nach gerade der springende Punkt. Das Kosovo war jedenfalls zum fraglichen Zeitpunkt im Einklang mit Res. 1244 vollständig der internationalen Verwaltung unterworfen. Das verkennt das Gericht auch nicht, es betont ja ausdrücklich, dass "... la résolution établit, au Kosovo, une présence internationale civile et de sécurité ayant pleine autorité civile et politique, seule responsable de la gestion des affaires publiques du Kosovo" (Rn. 97). Die Souveränität Serbiens einschließlich seiner Personalhoheit war damit suspendiert. Folglich standen sich am Tag der Unabhängigkeitserklärung nicht Serbien und seine kosovarischen Bürger, sondern vielmehr Serbien und die die internationale Gemeinschaft bildenden Staaten gegenüber. Warum sich die Sezession angesichts dieser Konstellation dennoch nicht im zwischenstaatlichen Bereich abgespielt haben soll, führt das Gericht nicht näher oder, genauer gesagt, überhaupt nicht, aus.
Und damit komme ich wieder auf das eingangs über die Verengung der vorgelegten Frage Gesagte zurück.
Denn wenn sich das Gericht nicht nur darauf konzentriert hätte, ob die Resolution 1244 (1999) eine einseitige Unabhängigkeitserklärung ausdrücklich verbietet, hätte es sich vielleicht mit dem Problem beschäftigt, ob nicht etwa das Nichteinschreiten des UN-Sondergesandten gegen die Unabhängigkeitserklärung einen Verstoß gegen die völkerrechtlich geschützte territoriale Integrität Serbiens darstellen könnte.
Freilich läßt das Gericht diese Passivität des Sondergesandten mit dem Argument unbeanstandet, die Sezession sei nicht von den letztendlich durch die Resolution 1244 eingesetzten kosovorischen Organen, sondern durch eine ad hoc gebildete, spezielle Volksversammlung erklärt worden. Angesichts des vom Gericht selbst bestätigten Umstandes aber, dass die internationale Präsenz ("présence internationale") alleine verantwortlich für die öffentlichen Angelegenheiten des Kosovo ("seule responsable de la gestion des affaires publiques du Kosovo") sei und zudem die volle politische (!) Autorität ("ayant pleine autorité ... politique") innehatte, hätte es doch irgendeiner Begründung bedurft, warum nicht bereits die Bildung der erwähnten speziellen Volksversammlung vom Sondergesandten unterbunden hätte werden müssen, und zwar auf der Grundlage der zweifellos dem Völkerrecht angehörenden Resolution 1244.

Das Urteil (Französisch und Englisch) ist abrufbar unter www.icj-cij.org.

Autor: Rechtsanwalt Sven Ringhof www.prilaro.de


Dienstag, 27. Juli 2010

Kosovo - was nun? Das Gutachten des IGH zur Unabhängigkeitserklärung

Letzten Donnerstag war es also so weit, der Internationale Gerichtshof, das heißt der Gerichtshof der Vereinten Nationen, hat sein von der Generalversammlung dieser Organisation angefordertes Gutachten zu der Frage, ob die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17.Februar 2008 gegen das Völkerrecht verstößt, bekanntgegeben.

I. Überblick über die (materiellen) Entscheidungsgründe

1. Verstoß gegen das allgemeine Völkerrecht

Das Gericht weist daraufhin, dass das Recht von Völkern, sich für unabhängig zu erklären, im Zusammenhang mit der Dekolonialisierung ausdrücklich anerkannt wurde. Außerhalb dieses Kontextes seien Unabhängigkeitserklärungen nicht ausdrücklich geregelt, aber auch nicht verboten. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der UN-Sicherheitsrat schon mehrmals konkrete Unabhängigkeitserklärungen mißbilligt hat. Denn dabei habe es sich um spezielle Fälle gehandelt, bei denen das Gewaltverbot verletzt worden war. Eine allgemein gültige Ablehnung von Sezessionen sei darin deshalb nicht zu sehen.
Weiter führt das Gericht aus, dass die territoriale Integrität, deren Schutzbereich von Unabhängigkeitserklärungen grundsätzlich berührt wird, nur im zwischenstaatlichen Verkehr Geltung besitzt.
Die im Verfahren kontrovers diskutierten Fragen nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie nach einer Sezession als letztem Mittel gegen Menschenrechtsverletzungen überschreiten den Gutachtenantrag, so das Gericht, und wurden daher nicht behandelt.
Somit kommt das Gericht zu dem Schluß, dass die Unabhängigkeitserklärung vom 17.Februar 2008 nicht gegen das allgemeine Völkerrecht verstößt.

2. Verstoß gegen die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1244 (1999) und das daraus abgeleitete Sekundärrecht, d.h. den im Kosovo etablierten konstitutionellen Rahmen

Der konstitutionelle Rahmen sei ein Ausfluß der Res. 1244 und somit wie diese Völkerrecht. Die Resolution war am Tag der Unabhängigkeitserklärung in Kraft; in ihr wird die territoriale Integrität Serbiens anerkannt.
Zweck der Resolution sei die vollständige, aber vorübergehende Übernahme der staatlichen Funktionen auf dem Gebiet des Kosovo durch internationale Organisationen gewesen, um die Verbesserung der humanitären Situation zu gewährleisten und das Erreichen einer Verhandlungslösung hinsichtlich des endgültigen Status des Kosovo zu erleichtern. Dabei bestehe der für die Beantwortung der Gutachtenfrage wesentliche Gesichtspunkt darin, dass die Resolution selbst keine Aussage über den letztendlichen Status enthalte und sich auch der UN-Sicherheitsrat die diesbezügliche Entscheidung nicht vorbehalten habe.
Bezüglich der Frage, wer die Urheber der Unabhängigkeitserklärung waren, nämlich das auf Resolution 1244 beruhende provisorische Parlament des Kosovo oder aber eine außerhalb dieses Rahmens ad hoc gebildete Versammlung der Repräsentanten des Volkes folgte das Gericht den Argumenten der Verteidiger der Unabhängigkeitserklärung, wobei es hervorhebt, dass der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs, wie in der Vergangenheit einige Male geschehen, eingeschritten wäre, hätte das letztendlich auf die Resolution 1244 zurückgehende provisorische Parlement gehandelt. Urheber der Unabhängigkeitserklärung war nach Ansicht des Gerichts also die außerhalb des internationalen Rahmens geschaffene Versammlung der Repräsentanten des Volkes. Diese sei aber nicht Adressatin der Resolution 1244.
Ohnehin drücke der zur Bezeichnung des erstrebten Verhandlungsziels in Res. 1244 verwendete Terminus "settlement" bzw. "règlement politique" kein Verbot einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung.
Aus all dem folgert das Gericht, dass die "streitgegenständliche" Unabhängigkeitserklärung auch nicht gegen die Res. 1244 und das aus ihr ausgeflossene Sekundärrecht verstößt.

II. Anmerkungen
folgen in Kürze im nächsten Post!

Das Urteil (Französisch und Englisch) ist abrufbar unter www.icj-cij.org.


Autor: Rechtsanwalt Sven Ringhof www.prilaro.de







Montag, 19. Juli 2010

Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vor dem IGH: Jetzt wird es spannend!

Einleitung

Im Februar des Jahres 2008 hatte bekanntlich das Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien ausgerufen. Auf Initiative Belgrads beantragte daraufhin die Generalversammlung der Vereinten Nationen beim Internationalen Gerichtshof ein Gutachten hinsichtlich der Frage, ob die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo gegen das Völkerrecht verstößt.
Am Donnerstag, den 22.Juli soll nun die Entscheidung des Gerichts verkündet werden.

Vorgeschichte

Im Zentrum der Meinungsverschiedenheiten zwischen Befürwortern und Kritikern der Unabhängigkeitserklärung steht die Resolution des UN-Sicherheitsrates Nr. 1244 aus dem Jahre 1999. Darin war festgelegt worden, dass das Kosovo bis zur endgültigen Klärung der Statusfrage internationaler Verwaltung unterstellt werden sollte.
Im Jahre 2005 begannen unter Leitung eines Sondergesandten des UN-Generalsekretärs entsprechende Verhandlungen, die aber zu keiner Einigung führten. Dennoch sprachen sich der UN-Generalsekretär und sein Sondergesandter für die Sezession des Kosovo aus. Im UN-Sicherheitsrat konnte diesbezüglich aber kein einheitlicher Standpunkt erzielt werden. Nichtsdestotrotz erklärte sich das Kosovo im Februar des Jahres 2008 zur unabhängigen Republik Kosovo.

Kontroverse Rechtsansichten

Doch von welcher Institution wurde das Kosovo hinsichtlich der Unabhängigkeitserklärung repräsentiert?
Mit dieser Frage ist auch schon einer der Streitpunkte des vorliegenden Verfahrens angesprochen.
Nach Ansicht Serbiens war es das von den das Kosovo verwaltenden internationalen Einrichtungen geschaffene provisorische Parlament des Kosovo, das die Unabhängigkeit erklärt hatte. Dazu hatte dieses Gremium nach Ansicht Serbiens aber keine interne Kompetenz.
Die Verteidiger der Unabhängigkeitserklärung halten dem entgegen, dass nicht das erwähnte vorläufige Parlament, sondern vielmehr eine ad hoc eingerichtete Versammlung von Repräsentanten des Volkes Urheber der Unabhängigkeitserklärung sei.
Diese sei auch nicht an die UN-Resolution 1244 gebunden, so dass, selbst wenn die Resolution die einseitig beschlossene Loslösung des Kosovo von Serbien verbieten würde, was aber bestritten wird, die Unabhängigkeitserklärung nicht zu beanstanden wäre.
Belgrad seinerseits vertritt den Standpunkt, dass auch eine solche spezielle Versammlung der Volksrepräsentanten Normadressatin der Resolution 1244 sei, und diese Resolution behalte die Entscheidung über die Statusfrage dem UN-Sicherheitsrat vor.
Ferner ist die Gegenseite der Ansicht, dass Unabhängigkeitserklärungen und Sezessionen von vorneherein nicht dem Völkerrecht unterlägen.

Ausblick

Diese und weitere, über den konkreten Fall hinausgehende, grundsätzliche Rechtsfragen wie beispielsweise die nach der Existenz eines Sezessionsrecht auf Grund von behaupteten Menschenrechtsverletzungen durch den Mutterstaates oder das Problem der Aufrechterhaltung der territorialen Integrität von Staaten, deren Teilgebiete unter UN-Verwaltung gestellt werden, lassen eine äußerst interessante Gerichtsentscheidung erwarten.
Am Donnerstag wissen wir mehr!


Autor: Rechtsanwalt Sven Ringhof, www.prilaro.de

Freitag, 19. Februar 2010

Ausscheiden aus der EU bzw. der Währungsunion

Die Europäische Zentralbank hat vor kurzem eine Studie zu der Frage, ob Mitgliedstaaten berechtigt sind, aus der EU bzw. der Währungsunion auszutreten und ob es andererseits juristisch möglich ist, Mitgliedstaaten gegen ihren Willen auszuschließen, veröffentlicht.

Ich habe mir erlaubt, ein Abstract dieser Studie in Form von Fragen und Antworten anzufertigen.

A b s t r a c t

des Dokuments

"Legal Working Paper Series No. 10/December 2009.
Withdrawal and expulsion from the EU and EMU.
Some reflections"
von
Phoebus Athanassiou

Quelle: www.ecb.int


Wie war die Rechtslage hinsichtlich der Möglichkeit eines Austritts aus der EU vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon?

Mangels einer einschlägigen Bestimmung in den Verträgen wäre ein Austritt nur als Vertragsänderung gemäß Art. 48 EUV möglich gewesen.

Was hat sich in dieser Hinsicht durch den Vertrag von Lissabon geändert?

Nunmehr ist ein Austrittsrecht ausdrücklich vorgesehen, und zwar in Art. 50 EUV.

Ist dieses Austrittsrecht gem. Art. 50 EUV konsensual oder unilateral ausgestaltet?

Der Wortlaut und die inhärente Logik der Norm lassen die Zulässigkeit
eines einseitigen Austritt erkennen.

Wie hätte sich ein Austrittsrecht im Zeitalter vor "Lissabon" begründen lassen?

Mit der staatlichen Souveränität. Demnach kann die staatliche Handlungsfreiheit nicht durch überstaatliche Institutionen eingeschränkt werden; folglich steht es souveränen Staaten frei, sich aus ihren internationalen Verpflichtungen wieder zurückzuziehen.

Welche Gegenargumente hätten dieser Einschätzung entgegengehalten werden können?

Die Verträge sind für unbegrenzte Zeit geschlossen worden und auf eine fortschreitende Integration festgelegt. Außerdem ist eine Neuverhandlung des jeweiligen Beitrittsabkommens nur beschränkt möglich, und generell kann eine Vertragsänderung nur im Rahmen des Art. 48 EUV erfolgen. Schließlich kann noch der Solidaritätsgrundsatz des Art. 4 Abs. 3 EUV 8 (früher Art. 10 EGV) angeführt werden.

Die Argumentation zu Gunsten eines Austrittsrechts angesichts des vor "Lissabon" bestehenden Schweigens der Verträge basiert auf dem Konzept der nationalen Souveränität.
Welche Besonderheiten gelten aber in dieser Hinsicht für die EU und die Währungsunion?

Die EU ist von der Dauerhaftigkeit ihrer Institutionen, der Abgabe bedeutender Hoheitsrechte von Seiten der Mitgliedstaaten, der unumkehrbare Festlegung der Wechselkurse und der anschließenden Übernahme des Euro geprägt, so dass sich die Souveränität der Mitgliedstaaten im Beitritt abschließend erschöpft.

Welche Auswirkungen hat dieser besondere Charakter der EU und der Währungsunion im Hinblick auf die in der Wiener Vertragsrechtskonvention enthaltenen Austrittsklauseln, insbesondere die Art. 56 (Schweigen des Vertrages) und Art. 62 ("Wegfall der Geschäftsgrundlage")?

Gemäß den Bestimmungen der Wiener Vertragsrechtskonvention ist die Berufung auf die nationale Souveränität alleine noch keine Grundlage für ein etwaiges Recht zum Rückzug aus einem völkerrechtlichen Vertrag. Die wegen des supranationalen Charakters der EU und der Währungsunion eingeschränkte Souveränität der Mitgliedstaaten verwehrt deshalb um so mehr einen pauschalen Rückgriff auf die Wiener Vertragsrechtskonvention. In diesem Zusammenhang ist auch auf den entscheidenden Unterschied zwischen Völkerrecht und EU-Recht im Hinblick auf die Wirkung völkerrechtlicher Normen hinzuweisen: Diese ist unter der Geltung des Völkerrechts eine Angelegenheit des nationalen Rechts, bei Zugrundelegung des EU-Rechts hingegen eine Sache des EU-Rechts selbst.

Nun zurück zur heutigen, durch den Vertrag von Lissabon bestimmten Rechtslage. Art. 50 EUV gibt den Mitgliedstaaten, wie wir gesehen haben, ein unilaterales Recht zum Austritt. Gilt das nur für die EU oder auch für die Währungsunion?

Darüber sagt die Norm nichts aus. Allerdings ergibt sich die Pflicht zur unwiderruflichen und unumkehrbaren Einführung des Euro (vgl. Art. 119 Abs. 2 AEUV) zwingend aus der EU-Mitgliedschaft. Folglich wäre ein Austritt lediglich aus der Währungsunion bei gleichzeitigem Verbleib in der EU unzulässig. Ein Mitgliedstaat könnte die Währungsunion also nur dann verlassen, wenn es aus der EU an sich austreten würde. Dies ist, wie bereits dargelegt, nunmehr gem. Art. 50 EUV möglich, und zwar gerade auch unilateral. Diese Möglichkeit der Einseitigkeit des Austritts hätte dann aber zur Folge, dass die Währungsunion ohne Einschaltung der Europäischen Zentralbank verlassen werden könnte. Ist ein solches Prozedere praktisch durchführbar? Wohl kaum. Deshalb drängt sich die Schlußfolgerung auf, dass ein Austritt aus der Währungsunion trotz des Art. 50 EUV nur einvernehmlich erfolgen könnte.

Nicht nur der Wunsch nach einem Austritt, sondern auch nach einem Ausschluß aus der EU bzw. der Währungsunion wäre denkbar. Existieren in dieser Hinsicht ausdrückliche Vertragsnormen?

Nein, man könnte allenfalls behaupten, dass die Bestimmungen des Art. 7 Abs. 2, 3 EUV in diese Richtung tendieren.

Könnten die Verträge dahingehend ausgelegt werden, dass ein Ausschlußrecht besteht, oder wäre eine diesbezügliche Vertragsänderung vorstellbar?

Ein Ausschluß stellt grundsätzlich eine Vertragsänderung dar, die gem. Art. 48 EUV nur einstimmig vorgenommen werden kann. Dabei ist aber zu bedenken, dass im Falle des Austritts eines Landes aus der EU bzw. der Europäischen Währungsunion auch die Rechtspositionen von Bürgern und Unternehmen einschneidend berührt werden würden. Deshalb würde die Einführung eines Ausschlußrechts größten Bedenken begegnen.

Ist die rechtliche Möglichkeit eines Ausschlußes unter dem Gesichtspunkt, dass die EU nicht auf dieses einschneidende Mittel verzichten kann, um vertragswidriges Verhalten zu sanktionieren, nicht doch vielleicht notwendig?

Nein, denn Geist und Wortlaut der Verträge sehen angesichts eines eventuellen vertragswidrigen Verhaltens eines Mitgliedstaates eine abschließende List von Sanktionen und Rechtsbehelfen vor. Diese beinhalten zwar kein Recht zum Ausschluß, sondern bezwecken vielmehr die "Resozialisierung" des betroffenen Staates. Dennoch sind sie ausreichend und stellen auch nicht den Charakter des EU-Rechts als verbindliche Rechtsordnung in Frage.

Auf direktem Wege ist ein Ausschluß also schwer vorstellbar. Gäbe es möglicherweise indirekte Vorgehensweisen, um dieses Ziel dennoch zu erreichen?

Zu denken wäre an den in Art. 20 EU kodifizierten Mechanismus der "Verstärkten Zusammenarbeit" unter Ausschluß des problematischen Mitgliedstaates. Noch weiter gedacht könnte eine neue EU der "Willigen" - wiederum ohne das problematische Land - gegründet werden. Insbesondere letztere Vorgehensweise wäre jedoch praktisch sehr schwer umzusetzen.

Wenn es nun aber trotz aller Bedenken und Schwierigkeiten dennoch zu einem freiwilligen oder unfreiwilligen Ausscheiden eines Mitgliedstaates aus der EU kommen würde, was wären dann die Konsequenzen für die Beteiligung dieses Landes an der gemeinsamen Währung?

Es könnte behauptet werden, dass im Rahmen des gem. Art. 50 Abs. 2 S.2 EUV vorgesehenen Austrittsabkommens der weitere Verbleib des Landes in der Währungsunion vereinbart werden könnte. Eine solche Sichtweise läßt aber außer Acht, dass die Mitgliedschaft in der Währungsunion ein Unterfall der EU-Mitgliedschaft an sich ist. Folglich hätte ein freiwilliger oder unfreiwilliger Rückzug aus der EU automatisch die Beendigung auch der Mitgliedschaft in der Währungsunion zur Folge.

Könnte der Euro in diesem Fall trotzdem weiter auf dem Territorium des ausgeschiedenen Staates zirkulieren?

Das wäre wohl möglich. Insoweit könnten die Bestimmungen des Art. 219 AEUV herangezogen werden.


Verfasser des Abstracts: Rechtsanwalt Sven Ringhof, www.prilaro.de