Freitag, 19. Februar 2010

Ausscheiden aus der EU bzw. der Währungsunion

Die Europäische Zentralbank hat vor kurzem eine Studie zu der Frage, ob Mitgliedstaaten berechtigt sind, aus der EU bzw. der Währungsunion auszutreten und ob es andererseits juristisch möglich ist, Mitgliedstaaten gegen ihren Willen auszuschließen, veröffentlicht.

Ich habe mir erlaubt, ein Abstract dieser Studie in Form von Fragen und Antworten anzufertigen.

A b s t r a c t

des Dokuments

"Legal Working Paper Series No. 10/December 2009.
Withdrawal and expulsion from the EU and EMU.
Some reflections"
von
Phoebus Athanassiou

Quelle: www.ecb.int


Wie war die Rechtslage hinsichtlich der Möglichkeit eines Austritts aus der EU vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon?

Mangels einer einschlägigen Bestimmung in den Verträgen wäre ein Austritt nur als Vertragsänderung gemäß Art. 48 EUV möglich gewesen.

Was hat sich in dieser Hinsicht durch den Vertrag von Lissabon geändert?

Nunmehr ist ein Austrittsrecht ausdrücklich vorgesehen, und zwar in Art. 50 EUV.

Ist dieses Austrittsrecht gem. Art. 50 EUV konsensual oder unilateral ausgestaltet?

Der Wortlaut und die inhärente Logik der Norm lassen die Zulässigkeit
eines einseitigen Austritt erkennen.

Wie hätte sich ein Austrittsrecht im Zeitalter vor "Lissabon" begründen lassen?

Mit der staatlichen Souveränität. Demnach kann die staatliche Handlungsfreiheit nicht durch überstaatliche Institutionen eingeschränkt werden; folglich steht es souveränen Staaten frei, sich aus ihren internationalen Verpflichtungen wieder zurückzuziehen.

Welche Gegenargumente hätten dieser Einschätzung entgegengehalten werden können?

Die Verträge sind für unbegrenzte Zeit geschlossen worden und auf eine fortschreitende Integration festgelegt. Außerdem ist eine Neuverhandlung des jeweiligen Beitrittsabkommens nur beschränkt möglich, und generell kann eine Vertragsänderung nur im Rahmen des Art. 48 EUV erfolgen. Schließlich kann noch der Solidaritätsgrundsatz des Art. 4 Abs. 3 EUV 8 (früher Art. 10 EGV) angeführt werden.

Die Argumentation zu Gunsten eines Austrittsrechts angesichts des vor "Lissabon" bestehenden Schweigens der Verträge basiert auf dem Konzept der nationalen Souveränität.
Welche Besonderheiten gelten aber in dieser Hinsicht für die EU und die Währungsunion?

Die EU ist von der Dauerhaftigkeit ihrer Institutionen, der Abgabe bedeutender Hoheitsrechte von Seiten der Mitgliedstaaten, der unumkehrbare Festlegung der Wechselkurse und der anschließenden Übernahme des Euro geprägt, so dass sich die Souveränität der Mitgliedstaaten im Beitritt abschließend erschöpft.

Welche Auswirkungen hat dieser besondere Charakter der EU und der Währungsunion im Hinblick auf die in der Wiener Vertragsrechtskonvention enthaltenen Austrittsklauseln, insbesondere die Art. 56 (Schweigen des Vertrages) und Art. 62 ("Wegfall der Geschäftsgrundlage")?

Gemäß den Bestimmungen der Wiener Vertragsrechtskonvention ist die Berufung auf die nationale Souveränität alleine noch keine Grundlage für ein etwaiges Recht zum Rückzug aus einem völkerrechtlichen Vertrag. Die wegen des supranationalen Charakters der EU und der Währungsunion eingeschränkte Souveränität der Mitgliedstaaten verwehrt deshalb um so mehr einen pauschalen Rückgriff auf die Wiener Vertragsrechtskonvention. In diesem Zusammenhang ist auch auf den entscheidenden Unterschied zwischen Völkerrecht und EU-Recht im Hinblick auf die Wirkung völkerrechtlicher Normen hinzuweisen: Diese ist unter der Geltung des Völkerrechts eine Angelegenheit des nationalen Rechts, bei Zugrundelegung des EU-Rechts hingegen eine Sache des EU-Rechts selbst.

Nun zurück zur heutigen, durch den Vertrag von Lissabon bestimmten Rechtslage. Art. 50 EUV gibt den Mitgliedstaaten, wie wir gesehen haben, ein unilaterales Recht zum Austritt. Gilt das nur für die EU oder auch für die Währungsunion?

Darüber sagt die Norm nichts aus. Allerdings ergibt sich die Pflicht zur unwiderruflichen und unumkehrbaren Einführung des Euro (vgl. Art. 119 Abs. 2 AEUV) zwingend aus der EU-Mitgliedschaft. Folglich wäre ein Austritt lediglich aus der Währungsunion bei gleichzeitigem Verbleib in der EU unzulässig. Ein Mitgliedstaat könnte die Währungsunion also nur dann verlassen, wenn es aus der EU an sich austreten würde. Dies ist, wie bereits dargelegt, nunmehr gem. Art. 50 EUV möglich, und zwar gerade auch unilateral. Diese Möglichkeit der Einseitigkeit des Austritts hätte dann aber zur Folge, dass die Währungsunion ohne Einschaltung der Europäischen Zentralbank verlassen werden könnte. Ist ein solches Prozedere praktisch durchführbar? Wohl kaum. Deshalb drängt sich die Schlußfolgerung auf, dass ein Austritt aus der Währungsunion trotz des Art. 50 EUV nur einvernehmlich erfolgen könnte.

Nicht nur der Wunsch nach einem Austritt, sondern auch nach einem Ausschluß aus der EU bzw. der Währungsunion wäre denkbar. Existieren in dieser Hinsicht ausdrückliche Vertragsnormen?

Nein, man könnte allenfalls behaupten, dass die Bestimmungen des Art. 7 Abs. 2, 3 EUV in diese Richtung tendieren.

Könnten die Verträge dahingehend ausgelegt werden, dass ein Ausschlußrecht besteht, oder wäre eine diesbezügliche Vertragsänderung vorstellbar?

Ein Ausschluß stellt grundsätzlich eine Vertragsänderung dar, die gem. Art. 48 EUV nur einstimmig vorgenommen werden kann. Dabei ist aber zu bedenken, dass im Falle des Austritts eines Landes aus der EU bzw. der Europäischen Währungsunion auch die Rechtspositionen von Bürgern und Unternehmen einschneidend berührt werden würden. Deshalb würde die Einführung eines Ausschlußrechts größten Bedenken begegnen.

Ist die rechtliche Möglichkeit eines Ausschlußes unter dem Gesichtspunkt, dass die EU nicht auf dieses einschneidende Mittel verzichten kann, um vertragswidriges Verhalten zu sanktionieren, nicht doch vielleicht notwendig?

Nein, denn Geist und Wortlaut der Verträge sehen angesichts eines eventuellen vertragswidrigen Verhaltens eines Mitgliedstaates eine abschließende List von Sanktionen und Rechtsbehelfen vor. Diese beinhalten zwar kein Recht zum Ausschluß, sondern bezwecken vielmehr die "Resozialisierung" des betroffenen Staates. Dennoch sind sie ausreichend und stellen auch nicht den Charakter des EU-Rechts als verbindliche Rechtsordnung in Frage.

Auf direktem Wege ist ein Ausschluß also schwer vorstellbar. Gäbe es möglicherweise indirekte Vorgehensweisen, um dieses Ziel dennoch zu erreichen?

Zu denken wäre an den in Art. 20 EU kodifizierten Mechanismus der "Verstärkten Zusammenarbeit" unter Ausschluß des problematischen Mitgliedstaates. Noch weiter gedacht könnte eine neue EU der "Willigen" - wiederum ohne das problematische Land - gegründet werden. Insbesondere letztere Vorgehensweise wäre jedoch praktisch sehr schwer umzusetzen.

Wenn es nun aber trotz aller Bedenken und Schwierigkeiten dennoch zu einem freiwilligen oder unfreiwilligen Ausscheiden eines Mitgliedstaates aus der EU kommen würde, was wären dann die Konsequenzen für die Beteiligung dieses Landes an der gemeinsamen Währung?

Es könnte behauptet werden, dass im Rahmen des gem. Art. 50 Abs. 2 S.2 EUV vorgesehenen Austrittsabkommens der weitere Verbleib des Landes in der Währungsunion vereinbart werden könnte. Eine solche Sichtweise läßt aber außer Acht, dass die Mitgliedschaft in der Währungsunion ein Unterfall der EU-Mitgliedschaft an sich ist. Folglich hätte ein freiwilliger oder unfreiwilliger Rückzug aus der EU automatisch die Beendigung auch der Mitgliedschaft in der Währungsunion zur Folge.

Könnte der Euro in diesem Fall trotzdem weiter auf dem Territorium des ausgeschiedenen Staates zirkulieren?

Das wäre wohl möglich. Insoweit könnten die Bestimmungen des Art. 219 AEUV herangezogen werden.


Verfasser des Abstracts: Rechtsanwalt Sven Ringhof, www.prilaro.de




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen