Freitag, 18. Februar 2011

Allein in der Fremde?

Wir hatten ja das letzte Mal gesehen, dass sich das Völkerrecht nicht nur in einer dem (Rechts-)Alltag normaler Menschen entzogenen, nur von Diplomaten bevölkerten Sphäre abspielt, sondern auch in Rechtsfällen, die zunächst rein innerstaatlich erscheinen, zum Tragen kommen kann.

Damals handelte es sich um gestohlene Kunstwerke, heute wollen wir einen kurzen Blick auf eine Situation werfen, in der es um Leben und Tod gehen kann und tatsächlich auch schon gegangen ist.

Die Rede ist von Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK (Wiener Konsularrechtsübereinkommen).
Dieser Klausel liegt die folgende Situation zu Grunde: Ein ausländischer Staatsangehöriger wird in einem bestimmten Staat festgenommen.
Dann sind die Behörden dieses Staates verpflichtet, das für den Verhafteten zuständige Konsulat über die Verhaftung zu informieren und Mitteilungen des Verhafteten an das Konsulat weiterzuleiten. Außerdem ist der Verhaftete dahingehend zu unterrichten, dass diese Rechte bzw. Pflichten bestehen.

Fraglich ist, oder besser gesagt, war, wer das Subjekt der genannten Rechte ist, die einzelne Person, die sich in Haft befindet, oder der Staat, dem sie angehört.
Verbunden damit war die Frage, welche juristischen Folgen ein Verstoß gegen diese Pflichten, die ja die Kehrseite der Rechte sind, hat.

Der Internationale Gerichtshof (IGH), das Gericht der UNO, hat in einem aufsehenerregenden Fall im Jahre 2001 diesbezüglich entschieden, dass ein Strafurteil, dem eine Festnahme vorausging, bei der die in Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK geforderten Belehrung unterblieben ist, einem Revisionsverfahren zugänglich sein muß (Esser, in: Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/Kirsch/Rosenthal, Internationales Strafrecht in der Praxis, Heidelberg/München/Landsberg/Berlin 2008, S.111, 112).

Diese vom IGH geforderte tiefgreifende Einwirkung in das innerstaatliche Strafprozeßrecht eines fremden Staates zu Gunsten des Festgenommenen bzw. Verurteilten hat seine Grundlage nun ja in Art. 36 Abs. 1 lit.b, Abs. 2 WÜK. Aus eben dieser ursprünglich zwischenstaatlichen Vertragsklausel entspringt also ein subjektives justizielles Recht einer einzelnen Person. Mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben, also einem Recht des Heimatstaates des Betroffenen, hat das nichts mehr zu tun, vielmehr handelt es sich um Rechtsbeziehungen zwischen dem Verhafteten bzw. Verurteilten und dem Staat, dessen Justizorgane insoweit tätig wurden.
Aus diesem Umstand wird deutlich, dass Individuen hinsichtlich dieser Norm Rechtssubjekte sein können (vgl. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 9.Auflage, Tübingen 2008, S.168).

Warum aber beinhaltete der vom IGH entschiedene Fall die Frage nach Leben oder Tod?
Anlaß des IGH-Urteils war die bevorstehende Hinrichtung zweier deutscher Staatsangehöriger, die in den USA lebten. Bei ihrer Festnahme war die Belehrung gem. Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK unterblieben. Deshalb hatte der IGH eine einstweilige Anordnung erlassen, die die Aufschiebung der Hinrichtung forderte. Dem kamen die US-Behörden aber nicht nach, die Todesstrafe wurde vollstreckt.

Autor: Rechtsanwalt Sven Ringhof, www.prilaro.de

Freitag, 4. Februar 2011

Gestohlene Kulturgüter im Licht des Völkerrechts

Das Völkerrecht regelt nach herkömmlicher Auffassung das Recht zwischen Staaten.
In den letzten Jahrzehnten rückte dagegen zunehmend das Individuum ins Blickfeld des Völkerrechts. Dabei spielen aber hauptsächlich stark "politisierte" Rechtsbereiche wie die Gewährleistung von Menschenrechten eine Rolle.

Dass sich völkerrechtliche Regelungen aber auch auf eher unpolitische innerstaatliche Rechts- und Geschäftsbeziehungen auswirken können, zeigt unser heutiges Thema, nämlich der juristische Schutz gegen unrechtmäßigen grenzüberschreitenden Kunsthandel.

Wir wollen uns dabei auf die Fallkonstellation beschränken, bei der ein Kunstwerk gestohlen und dann im Ausland verkauft wird.

Welche völkerrechtlichen Rechtsquellen behandeln eine solche Situation?

Da wäre einmal das Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut aus dem Jahre 1970, dem bislang etwa 119 Staaten, darunter Deutschland, beigetreten sind.
Ein weiterer Vertrag, die UNIDROIT-Konvention über gestohlene oder illegal exportierte Kulturgüter stammt aus dem Jahre 1995, von Deutschland wurde diese Konvention allerdings nicht unterzeichnet.

Beide Übereinkommen sehen vor, dass der Besitzer eines (in einem anderen Land) gestohlenen Kulturgutes dieses auf Antrag des Ursprungsstaates zurückgeben muss. Die einschlägigen Regelungen beziehen sich wohl gemerkt nicht auf den Dieb, sondern auf einen nachrangigen Erwerber. Gutgläubigkeit macht den Erwerb nicht wirksam, gibt aber einen Anspruch auf Entschädigung (Art. 7 b Abs. 2 des Übereinkommens von 1970; Art. 3 Abs. 1, 2 der Konvention von 1995). Ein Eigentumsübergang findet also nicht statt, so dass ein Rückgabeanspruch besteht, der an § 985 BGB (Deutschland) erinnert.

Während das Übereinkommen von 1970 einen Anspruch auf Rückführung des gestohlenen Kunstwerkes nur für den Fall vorsieht, dass das Kunstwerk aus einer staatlichen Einrichtung entwendet worden ist, verzichtet die Konvention von 1995 auf diese Einschränkung, wie sich wohl aus Art. 3 ergibt.
Denn dessen Abs. 3, 4 und 8 regeln die Verjährungsfrist für den Rückgabeanspruch eines gestohlenen Kunstwerkes. Dabei legen Art. 4 und 8 eine besondere Verjährungsfrist für Diebstähle aus öffentlichen Sammlungen bzw. von Kultgegenständen autochthoner Völker fest. Art. 3 dagegen bestimmt die Verjährungsfrist für sonstige Diebstähle, ohne diese näher zu qualifizieren. Daraus kann geschlossen werden, dass der Rückgabeanspruch auch für solche Kunstgegenstände gilt, die Privatpersonen gestohlen worden sind.

Soweit ein kurzer Überblick über den Regelungsinhalt der völkerrechtlichen Vereinbarungen.
Zum Ineinandergreifen von Völkerrecht und dem nationalen Recht der Vertragsstaaten könnte angemerkt werden, dass die Normen der Vereinbarungen auf Rechtsbegriffen aufbauen, die vom nationalen Recht geprägt sind und bestimmt werden, insbesondere Diebstahl und Gutgläubigkeit.

Wahrscheinlich existieren derartige Rechtsinstitute in allen nationalen Rechtsordnungen in irgendeiner Form, aber hinsichtlich der konkreten Ausformung durch den jeweiligen Gesetzestext und noch mehr durch die dazu ergangene Rechtsprechung dürften nicht unerhebliche Unterschiede bestehen.

Deshalb könnte es vorkommen, dass der Vorgang des Abhandenkommens des streitgegenständlichen Kunstwerkes im Ursprungsstaat als Diebstahl gewertet wird, im Empfangsstaat aber nicht. Dann würden die Gerichte dieses Staates keinen Rückgabeanspruch gewähren, da in ihren Augen der Tatbestand der völkerrechtlichen Rückgabenorm nicht erfüllt wäre.

Denn anders als etwa im Europarecht (vgl. Art. 4 Abs. 3 Unt. 2, 3 EUV) gibt es im allgemeinen Völkerrecht wohl keine generelle Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung internationaler Normen durch nationale Gerichte. Insbesondere hinsichtlich der Übernahme fremden öffentlichen Rechts hat sich auf internationaler Ebene noch keine abschließende, allgemein anerkannte Auffassung in dieser Richtung herausgebildet (vgl. Dolzer, in: Vitzthum, Völkerrecht, 5.Aufl., Berlin/New York 2010, S. 575).

Autor: Rechtsanwalt Sven Ringhof, www.prilaro.de