II. Anmerkungen
Auffällig an den Erwägungen des Internationalen Gerichtshofes ist, dass die von der UN-Generalversammlung vorgelegte Frage thematisch eingeengt wurde.
Die Frage lautete bekanntlich, ob die Unabhängigkeitserklärung mit dem Völkerrecht vereinbar ist bzw. in der französischen Fassung "...est-elle conforme au droit international?"
Offenbar stützt das Gericht seine Entscheidung aber darauf, dass die Resolution 1244 (1999) kein ausdrückliches Verbot einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung enthalte.
Das ist aber doch nur ein einzelner und nicht der einzige Aspekt im Hinblick auf die Völkerrechtskonformität oder -widrigkeit.
Zwar hat der IGH auch das allgemeine Völkerrecht in Erwägung gezogen, wobei er erklärt, dass das Sezessionen entgegenstehende Prinzip der territorialen Integrität nur in zwischenstaatlichen Beziehungen gelte, die hinsichtlich der kosovorischen Urheber der Unabhängigkeitserklärung nicht gegeben seien.
Aber das ist meiner Ansicht nach gerade der springende Punkt. Das Kosovo war jedenfalls zum fraglichen Zeitpunkt im Einklang mit Res. 1244 vollständig der internationalen Verwaltung unterworfen. Das verkennt das Gericht auch nicht, es betont ja ausdrücklich, dass "... la résolution établit, au Kosovo, une présence internationale civile et de sécurité ayant pleine autorité civile et politique, seule responsable de la gestion des affaires publiques du Kosovo" (Rn. 97). Die Souveränität Serbiens einschließlich seiner Personalhoheit war damit suspendiert. Folglich standen sich am Tag der Unabhängigkeitserklärung nicht Serbien und seine kosovarischen Bürger, sondern vielmehr Serbien und die die internationale Gemeinschaft bildenden Staaten gegenüber. Warum sich die Sezession angesichts dieser Konstellation dennoch nicht im zwischenstaatlichen Bereich abgespielt haben soll, führt das Gericht nicht näher oder, genauer gesagt, überhaupt nicht, aus.
Und damit komme ich wieder auf das eingangs über die Verengung der vorgelegten Frage Gesagte zurück.
Denn wenn sich das Gericht nicht nur darauf konzentriert hätte, ob die Resolution 1244 (1999) eine einseitige Unabhängigkeitserklärung ausdrücklich verbietet, hätte es sich vielleicht mit dem Problem beschäftigt, ob nicht etwa das Nichteinschreiten des UN-Sondergesandten gegen die Unabhängigkeitserklärung einen Verstoß gegen die völkerrechtlich geschützte territoriale Integrität Serbiens darstellen könnte.
Freilich läßt das Gericht diese Passivität des Sondergesandten mit dem Argument unbeanstandet, die Sezession sei nicht von den letztendlich durch die Resolution 1244 eingesetzten kosovorischen Organen, sondern durch eine ad hoc gebildete, spezielle Volksversammlung erklärt worden. Angesichts des vom Gericht selbst bestätigten Umstandes aber, dass die internationale Präsenz ("présence internationale") alleine verantwortlich für die öffentlichen Angelegenheiten des Kosovo ("seule responsable de la gestion des affaires publiques du Kosovo") sei und zudem die volle politische (!) Autorität ("ayant pleine autorité ... politique") innehatte, hätte es doch irgendeiner Begründung bedurft, warum nicht bereits die Bildung der erwähnten speziellen Volksversammlung vom Sondergesandten unterbunden hätte werden müssen, und zwar auf der Grundlage der zweifellos dem Völkerrecht angehörenden Resolution 1244.
Das Urteil (Französisch und Englisch) ist abrufbar unter www.icj-cij.org.
Autor: Rechtsanwalt Sven Ringhof www.prilaro.de
Mittwoch, 28. Juli 2010
Dienstag, 27. Juli 2010
Kosovo - was nun? Das Gutachten des IGH zur Unabhängigkeitserklärung
Letzten Donnerstag war es also so weit, der Internationale Gerichtshof, das heißt der Gerichtshof der Vereinten Nationen, hat sein von der Generalversammlung dieser Organisation angefordertes Gutachten zu der Frage, ob die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17.Februar 2008 gegen das Völkerrecht verstößt, bekanntgegeben.
I. Überblick über die (materiellen) Entscheidungsgründe
1. Verstoß gegen das allgemeine Völkerrecht
Das Gericht weist daraufhin, dass das Recht von Völkern, sich für unabhängig zu erklären, im Zusammenhang mit der Dekolonialisierung ausdrücklich anerkannt wurde. Außerhalb dieses Kontextes seien Unabhängigkeitserklärungen nicht ausdrücklich geregelt, aber auch nicht verboten. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der UN-Sicherheitsrat schon mehrmals konkrete Unabhängigkeitserklärungen mißbilligt hat. Denn dabei habe es sich um spezielle Fälle gehandelt, bei denen das Gewaltverbot verletzt worden war. Eine allgemein gültige Ablehnung von Sezessionen sei darin deshalb nicht zu sehen.
Weiter führt das Gericht aus, dass die territoriale Integrität, deren Schutzbereich von Unabhängigkeitserklärungen grundsätzlich berührt wird, nur im zwischenstaatlichen Verkehr Geltung besitzt.
Die im Verfahren kontrovers diskutierten Fragen nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie nach einer Sezession als letztem Mittel gegen Menschenrechtsverletzungen überschreiten den Gutachtenantrag, so das Gericht, und wurden daher nicht behandelt.
Somit kommt das Gericht zu dem Schluß, dass die Unabhängigkeitserklärung vom 17.Februar 2008 nicht gegen das allgemeine Völkerrecht verstößt.
2. Verstoß gegen die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1244 (1999) und das daraus abgeleitete Sekundärrecht, d.h. den im Kosovo etablierten konstitutionellen Rahmen
Der konstitutionelle Rahmen sei ein Ausfluß der Res. 1244 und somit wie diese Völkerrecht. Die Resolution war am Tag der Unabhängigkeitserklärung in Kraft; in ihr wird die territoriale Integrität Serbiens anerkannt.
Zweck der Resolution sei die vollständige, aber vorübergehende Übernahme der staatlichen Funktionen auf dem Gebiet des Kosovo durch internationale Organisationen gewesen, um die Verbesserung der humanitären Situation zu gewährleisten und das Erreichen einer Verhandlungslösung hinsichtlich des endgültigen Status des Kosovo zu erleichtern. Dabei bestehe der für die Beantwortung der Gutachtenfrage wesentliche Gesichtspunkt darin, dass die Resolution selbst keine Aussage über den letztendlichen Status enthalte und sich auch der UN-Sicherheitsrat die diesbezügliche Entscheidung nicht vorbehalten habe.
Bezüglich der Frage, wer die Urheber der Unabhängigkeitserklärung waren, nämlich das auf Resolution 1244 beruhende provisorische Parlament des Kosovo oder aber eine außerhalb dieses Rahmens ad hoc gebildete Versammlung der Repräsentanten des Volkes folgte das Gericht den Argumenten der Verteidiger der Unabhängigkeitserklärung, wobei es hervorhebt, dass der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs, wie in der Vergangenheit einige Male geschehen, eingeschritten wäre, hätte das letztendlich auf die Resolution 1244 zurückgehende provisorische Parlement gehandelt. Urheber der Unabhängigkeitserklärung war nach Ansicht des Gerichts also die außerhalb des internationalen Rahmens geschaffene Versammlung der Repräsentanten des Volkes. Diese sei aber nicht Adressatin der Resolution 1244.
Ohnehin drücke der zur Bezeichnung des erstrebten Verhandlungsziels in Res. 1244 verwendete Terminus "settlement" bzw. "règlement politique" kein Verbot einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung.
Aus all dem folgert das Gericht, dass die "streitgegenständliche" Unabhängigkeitserklärung auch nicht gegen die Res. 1244 und das aus ihr ausgeflossene Sekundärrecht verstößt.
II. Anmerkungen
folgen in Kürze im nächsten Post!
Das Urteil (Französisch und Englisch) ist abrufbar unter www.icj-cij.org.
Autor: Rechtsanwalt Sven Ringhof www.prilaro.de
I. Überblick über die (materiellen) Entscheidungsgründe
1. Verstoß gegen das allgemeine Völkerrecht
Das Gericht weist daraufhin, dass das Recht von Völkern, sich für unabhängig zu erklären, im Zusammenhang mit der Dekolonialisierung ausdrücklich anerkannt wurde. Außerhalb dieses Kontextes seien Unabhängigkeitserklärungen nicht ausdrücklich geregelt, aber auch nicht verboten. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der UN-Sicherheitsrat schon mehrmals konkrete Unabhängigkeitserklärungen mißbilligt hat. Denn dabei habe es sich um spezielle Fälle gehandelt, bei denen das Gewaltverbot verletzt worden war. Eine allgemein gültige Ablehnung von Sezessionen sei darin deshalb nicht zu sehen.
Weiter führt das Gericht aus, dass die territoriale Integrität, deren Schutzbereich von Unabhängigkeitserklärungen grundsätzlich berührt wird, nur im zwischenstaatlichen Verkehr Geltung besitzt.
Die im Verfahren kontrovers diskutierten Fragen nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie nach einer Sezession als letztem Mittel gegen Menschenrechtsverletzungen überschreiten den Gutachtenantrag, so das Gericht, und wurden daher nicht behandelt.
Somit kommt das Gericht zu dem Schluß, dass die Unabhängigkeitserklärung vom 17.Februar 2008 nicht gegen das allgemeine Völkerrecht verstößt.
2. Verstoß gegen die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1244 (1999) und das daraus abgeleitete Sekundärrecht, d.h. den im Kosovo etablierten konstitutionellen Rahmen
Der konstitutionelle Rahmen sei ein Ausfluß der Res. 1244 und somit wie diese Völkerrecht. Die Resolution war am Tag der Unabhängigkeitserklärung in Kraft; in ihr wird die territoriale Integrität Serbiens anerkannt.
Zweck der Resolution sei die vollständige, aber vorübergehende Übernahme der staatlichen Funktionen auf dem Gebiet des Kosovo durch internationale Organisationen gewesen, um die Verbesserung der humanitären Situation zu gewährleisten und das Erreichen einer Verhandlungslösung hinsichtlich des endgültigen Status des Kosovo zu erleichtern. Dabei bestehe der für die Beantwortung der Gutachtenfrage wesentliche Gesichtspunkt darin, dass die Resolution selbst keine Aussage über den letztendlichen Status enthalte und sich auch der UN-Sicherheitsrat die diesbezügliche Entscheidung nicht vorbehalten habe.
Bezüglich der Frage, wer die Urheber der Unabhängigkeitserklärung waren, nämlich das auf Resolution 1244 beruhende provisorische Parlament des Kosovo oder aber eine außerhalb dieses Rahmens ad hoc gebildete Versammlung der Repräsentanten des Volkes folgte das Gericht den Argumenten der Verteidiger der Unabhängigkeitserklärung, wobei es hervorhebt, dass der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs, wie in der Vergangenheit einige Male geschehen, eingeschritten wäre, hätte das letztendlich auf die Resolution 1244 zurückgehende provisorische Parlement gehandelt. Urheber der Unabhängigkeitserklärung war nach Ansicht des Gerichts also die außerhalb des internationalen Rahmens geschaffene Versammlung der Repräsentanten des Volkes. Diese sei aber nicht Adressatin der Resolution 1244.
Ohnehin drücke der zur Bezeichnung des erstrebten Verhandlungsziels in Res. 1244 verwendete Terminus "settlement" bzw. "règlement politique" kein Verbot einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung.
Aus all dem folgert das Gericht, dass die "streitgegenständliche" Unabhängigkeitserklärung auch nicht gegen die Res. 1244 und das aus ihr ausgeflossene Sekundärrecht verstößt.
II. Anmerkungen
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Unabhängigkeit
Montag, 19. Juli 2010
Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vor dem IGH: Jetzt wird es spannend!
Einleitung
Im Februar des Jahres 2008 hatte bekanntlich das Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien ausgerufen. Auf Initiative Belgrads beantragte daraufhin die Generalversammlung der Vereinten Nationen beim Internationalen Gerichtshof ein Gutachten hinsichtlich der Frage, ob die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo gegen das Völkerrecht verstößt.
Am Donnerstag, den 22.Juli soll nun die Entscheidung des Gerichts verkündet werden.
Vorgeschichte
Im Zentrum der Meinungsverschiedenheiten zwischen Befürwortern und Kritikern der Unabhängigkeitserklärung steht die Resolution des UN-Sicherheitsrates Nr. 1244 aus dem Jahre 1999. Darin war festgelegt worden, dass das Kosovo bis zur endgültigen Klärung der Statusfrage internationaler Verwaltung unterstellt werden sollte.
Im Jahre 2005 begannen unter Leitung eines Sondergesandten des UN-Generalsekretärs entsprechende Verhandlungen, die aber zu keiner Einigung führten. Dennoch sprachen sich der UN-Generalsekretär und sein Sondergesandter für die Sezession des Kosovo aus. Im UN-Sicherheitsrat konnte diesbezüglich aber kein einheitlicher Standpunkt erzielt werden. Nichtsdestotrotz erklärte sich das Kosovo im Februar des Jahres 2008 zur unabhängigen Republik Kosovo.
Kontroverse Rechtsansichten
Doch von welcher Institution wurde das Kosovo hinsichtlich der Unabhängigkeitserklärung repräsentiert?
Mit dieser Frage ist auch schon einer der Streitpunkte des vorliegenden Verfahrens angesprochen.
Nach Ansicht Serbiens war es das von den das Kosovo verwaltenden internationalen Einrichtungen geschaffene provisorische Parlament des Kosovo, das die Unabhängigkeit erklärt hatte. Dazu hatte dieses Gremium nach Ansicht Serbiens aber keine interne Kompetenz.
Die Verteidiger der Unabhängigkeitserklärung halten dem entgegen, dass nicht das erwähnte vorläufige Parlament, sondern vielmehr eine ad hoc eingerichtete Versammlung von Repräsentanten des Volkes Urheber der Unabhängigkeitserklärung sei.
Diese sei auch nicht an die UN-Resolution 1244 gebunden, so dass, selbst wenn die Resolution die einseitig beschlossene Loslösung des Kosovo von Serbien verbieten würde, was aber bestritten wird, die Unabhängigkeitserklärung nicht zu beanstanden wäre.
Belgrad seinerseits vertritt den Standpunkt, dass auch eine solche spezielle Versammlung der Volksrepräsentanten Normadressatin der Resolution 1244 sei, und diese Resolution behalte die Entscheidung über die Statusfrage dem UN-Sicherheitsrat vor.
Ferner ist die Gegenseite der Ansicht, dass Unabhängigkeitserklärungen und Sezessionen von vorneherein nicht dem Völkerrecht unterlägen.
Ausblick
Diese und weitere, über den konkreten Fall hinausgehende, grundsätzliche Rechtsfragen wie beispielsweise die nach der Existenz eines Sezessionsrecht auf Grund von behaupteten Menschenrechtsverletzungen durch den Mutterstaates oder das Problem der Aufrechterhaltung der territorialen Integrität von Staaten, deren Teilgebiete unter UN-Verwaltung gestellt werden, lassen eine äußerst interessante Gerichtsentscheidung erwarten.Am Donnerstag wissen wir mehr!
Autor: Rechtsanwalt Sven Ringhof, www.prilaro.de
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