Dienstag, 27. Juli 2010

Kosovo - was nun? Das Gutachten des IGH zur Unabhängigkeitserklärung

Letzten Donnerstag war es also so weit, der Internationale Gerichtshof, das heißt der Gerichtshof der Vereinten Nationen, hat sein von der Generalversammlung dieser Organisation angefordertes Gutachten zu der Frage, ob die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17.Februar 2008 gegen das Völkerrecht verstößt, bekanntgegeben.

I. Überblick über die (materiellen) Entscheidungsgründe

1. Verstoß gegen das allgemeine Völkerrecht

Das Gericht weist daraufhin, dass das Recht von Völkern, sich für unabhängig zu erklären, im Zusammenhang mit der Dekolonialisierung ausdrücklich anerkannt wurde. Außerhalb dieses Kontextes seien Unabhängigkeitserklärungen nicht ausdrücklich geregelt, aber auch nicht verboten. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der UN-Sicherheitsrat schon mehrmals konkrete Unabhängigkeitserklärungen mißbilligt hat. Denn dabei habe es sich um spezielle Fälle gehandelt, bei denen das Gewaltverbot verletzt worden war. Eine allgemein gültige Ablehnung von Sezessionen sei darin deshalb nicht zu sehen.
Weiter führt das Gericht aus, dass die territoriale Integrität, deren Schutzbereich von Unabhängigkeitserklärungen grundsätzlich berührt wird, nur im zwischenstaatlichen Verkehr Geltung besitzt.
Die im Verfahren kontrovers diskutierten Fragen nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie nach einer Sezession als letztem Mittel gegen Menschenrechtsverletzungen überschreiten den Gutachtenantrag, so das Gericht, und wurden daher nicht behandelt.
Somit kommt das Gericht zu dem Schluß, dass die Unabhängigkeitserklärung vom 17.Februar 2008 nicht gegen das allgemeine Völkerrecht verstößt.

2. Verstoß gegen die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1244 (1999) und das daraus abgeleitete Sekundärrecht, d.h. den im Kosovo etablierten konstitutionellen Rahmen

Der konstitutionelle Rahmen sei ein Ausfluß der Res. 1244 und somit wie diese Völkerrecht. Die Resolution war am Tag der Unabhängigkeitserklärung in Kraft; in ihr wird die territoriale Integrität Serbiens anerkannt.
Zweck der Resolution sei die vollständige, aber vorübergehende Übernahme der staatlichen Funktionen auf dem Gebiet des Kosovo durch internationale Organisationen gewesen, um die Verbesserung der humanitären Situation zu gewährleisten und das Erreichen einer Verhandlungslösung hinsichtlich des endgültigen Status des Kosovo zu erleichtern. Dabei bestehe der für die Beantwortung der Gutachtenfrage wesentliche Gesichtspunkt darin, dass die Resolution selbst keine Aussage über den letztendlichen Status enthalte und sich auch der UN-Sicherheitsrat die diesbezügliche Entscheidung nicht vorbehalten habe.
Bezüglich der Frage, wer die Urheber der Unabhängigkeitserklärung waren, nämlich das auf Resolution 1244 beruhende provisorische Parlament des Kosovo oder aber eine außerhalb dieses Rahmens ad hoc gebildete Versammlung der Repräsentanten des Volkes folgte das Gericht den Argumenten der Verteidiger der Unabhängigkeitserklärung, wobei es hervorhebt, dass der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs, wie in der Vergangenheit einige Male geschehen, eingeschritten wäre, hätte das letztendlich auf die Resolution 1244 zurückgehende provisorische Parlement gehandelt. Urheber der Unabhängigkeitserklärung war nach Ansicht des Gerichts also die außerhalb des internationalen Rahmens geschaffene Versammlung der Repräsentanten des Volkes. Diese sei aber nicht Adressatin der Resolution 1244.
Ohnehin drücke der zur Bezeichnung des erstrebten Verhandlungsziels in Res. 1244 verwendete Terminus "settlement" bzw. "règlement politique" kein Verbot einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung.
Aus all dem folgert das Gericht, dass die "streitgegenständliche" Unabhängigkeitserklärung auch nicht gegen die Res. 1244 und das aus ihr ausgeflossene Sekundärrecht verstößt.

II. Anmerkungen
folgen in Kürze im nächsten Post!

Das Urteil (Französisch und Englisch) ist abrufbar unter www.icj-cij.org.


Autor: Rechtsanwalt Sven Ringhof www.prilaro.de







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